Vom 1.2.1877, RGBl. S. 253
BGBl III 312-2
In der Fassung der Bekanntmachung vom 7.4.1987, BGBl I S. 1074, 1319
Zuletzt geändert durch Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen
Verankerung
des Täter-Opfer-Ausgleichs und zur Änderung
des Gesetzes über Fernmeldeanlagen
vom 20.12.1999, BGBl I S. 2491
Viertes Buch
Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil
abgeschlossenen Verfahrens
§ 359 [Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten]
Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen
Verfahrens zugunsten des Verurteilten ist zulässig,
1. wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Ungunsten als echt vorgebrachte
Urkunde unecht oder verfälscht war;
2. wenn der Zeuge oder Sachverständige sich bei einem zuungunsten
des Verurteilten abgelegten Zeugnis oder abgegebenen Gutachten einer vorsätzlichen
oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht oder einer vorsätzlichen
falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat;
3. wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat,
der sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Verletzung seiner
Amtspflichten schuldig gemacht hat, sofern die Verletzung nicht vom Verurteilten
selbst veranlaßt ist;
4. wenn ein zivilgerichtliches Urteil, auf welches das Strafurteil
gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil
aufgehoben ist;
5. wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein
oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung
des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere
Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel
der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind,
6. wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine
Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil
auf dieser Verletzung beruht.
§ 360 [Keine Hemmung der Vollstreckung]
(1) 1Durch den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird die Vollstreckung
des Urteils nicht gehemmt.
(2) 1Das Gericht kann jedoch einen Aufschub sowie eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen.
§ 361 [Wiederaufnahme nach Strafvollstreckung oder Tod]
(1) 1Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird weder durch
die erfolgte Strafvollstreckung noch durch den Tod des Verurteilten ausgeschlossen.
(2) 1Im Falle des Todes sind der Ehegatte, die Verwandten auf- und absteigender Linie sowie die Geschwister des Verstorbenen zu dem Antrag befugt.
§ 362 [Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten]
Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen
Verfahrens zuungunsten des Angeklagten ist zulässig,
1. wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Gunsten als echt vorgebrachte
Urkunde unecht oder verfälscht war;
2. wenn der Zeuge oder Sachverständige sich bei einem zugunsten
des Angeklagten abgelegten Zeugnis oder abgegebenen Gutachten einer vorsätzlichen
oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht oder einer vorsätzlichen
falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat;
3. wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat,
der sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Verletzung seiner
Amtspflichten schuldig gemacht hat;
4. wenn von dem Freigesprochenen vor Gericht oder außergerichtlich
ein glaubwürdiges Geständnis der Straftat abgelegt wird.
§ 363 [Unzulässigkeit]
(1) 1Eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu dem Zweck, eine andere Strafbemessung
auf Grund desselben Strafgesetzes herbeizuführen, ist nicht zulässig.
(2) 1Eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu dem Zweck, eine Milderung der Strafe wegen verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 des Strafgesetzbuches) herbeizuführen, ist gleichfalls ausgeschlossen.
§ 364 [Behauptung einer Straftat als Wiederaufnahmegrund]
Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, der auf die Behauptung
einer Straftat gegründet werden soll, ist nur dann zulässig,
wenn wegen dieser Tat eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist
oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus
anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann. 2Dies
gilt nicht im Falle des § 359 Nr. 5.
§ 364a [Verteidiger für Wiederaufnahmeverfahren]
Das für die Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren zuständige
Gericht bestellt dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, auf Antrag
einen Verteidiger für das Wiederaufnahmeverfahren, wenn wegen der
Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers
geboten erscheint.
§ 364b [Verteidiger für Vorbereitung des Verfahrens]
(1) 1Das für die Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren zuständige
Gericht bestellt dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, auf Antrag
einen Verteidiger schon für die Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens,
wenn
1. hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen,
daß bestimmte Nachforschungen zu Tatsachen oder Beweismitteln führen,
welche die Zulässigkeit eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens
begründen können,
2. wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung
eines Verteidigers geboten erscheint und
3. der Verurteilte außerstande ist, ohne Beeinträchtigung
des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts auf eigene Kosten
einen Verteidiger zu beauftragen.
Ist dem Verurteilten bereits ein Verteidiger bestellt, so stellt das
Gericht auf Antrag durch Beschluß fest, daß die Voraussetzungen
der Nummern 1 bis 3 des Satzes 1 vorliegen.
(2) 1Für das Verfahren zur Feststellung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 gelten § 117 Abs. 2 bis 4 und § 118 Abs. 2 Satz 1, 2 und 4 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
§ 365 [Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften über
Rechtsmittel]
Die allgemeinen Vorschriften über Rechtsmittel gelten auch für
den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens.
§ 366 [Inhalt und Form des Antrags]
(1) 1In dem Antrag müssen der gesetzliche Grund der Wiederaufnahme
des Verfahrens sowie die Beweismittel angegeben werden.
(2) 1Von dem Angeklagten und den in § 361 Abs. 2 bezeichneten Personen kann der Antrag nur mittels einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht werden.
§ 367 [Zuständigkeit des Gerichts]
(1) 1Die Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidungen
im Wiederaufnahmeverfahren und über den Antrag zur Vorbereitung eines
Wiederaufnahmeverfahrens richtet sich nach den besonderen Vorschriften
des Gerichtsverfassungsgesetzes. Der Verurteilte kann Anträge nach
den §§ 364a und 364b oder einen Antrag auf Zulassung der Wiederaufnahme
des Verfahrens auch bei dem Gericht einreichen, dessen Urteil angefochten
wird; dieses leitet den Antrag dem zuständigen Gericht zu.
(2) 1Die Entscheidungen über Anträge nach den §§ 364a und 364b und den Antrag auf Zulassung der Wiederaufnahme des Verfahrens ergehen ohne mündliche Verhandlung.
§ 368 [Verwerfung als unzulässig]
(1) 1Ist der Antrag nicht in der vorgeschriebenen Form angebracht oder
ist darin kein gesetzlicher Grund der Wiederaufnahme geltend gemacht oder
kein geeignetes Beweismittel angeführt, so ist der Antrag als unzulässig
zu verwerfen.
(2) 1Andernfalls ist er dem Gegner des Antragstellers unter Bestimmung einer Frist zur Erklärung zuzustellen.
§ 369 [Beweisaufnahme]
(1) 1Wird der Antrag für zulässig befunden, so beauftragt
das Gericht mit der Aufnahme der angetretenen Beweise, soweit dies erforderlich
ist, einen Richter.
(2) 1Dem Ermessen des Gerichts bleibt es überlassen, ob die Zeugen und Sachverständigen eidlich vernommen werden sollen.
(3) 1Bei der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen und bei der Einnahme eines richterlichen Augenscheins ist der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten und dem Verteidiger die Anwesenheit zu gestatten. 2§ 168c Abs. 3, § 224 Abs. 1 und § 225 gelten entsprechend. 3Befindet sich der Angeklagte nicht auf freiem Fuß, so hat er keinen Anspruch auf Anwesenheit, wenn der Termin nicht an der Gerichtsstelle des Ortes abgehalten wird, wo er sich in Haft befindet, und seine Mitwirkung der mit der Beweiserhebung bezweckten Klärung nicht dienlich ist.
(4) 1Nach Schluß der Beweisaufnahme sind die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte unter Bestimmung einer Frist zu weiterer Erklärung aufzufordern.
§ 370 [Verwerfung oder Anordnung erneuerter Hauptverhandlung]
(1) 1Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird ohne mündliche
Verhandlung als unbegründet verworfen, wenn die darin aufgestellten
Behauptungen keine genügende Bestätigung gefunden haben oder
wenn in den Fällen des § 359 Nr. 1 und 2 oder des § 362
Nr. 1 und 2 nach Lage der Sache die Annahme ausgeschlossen ist, daß
die in diesen Vorschriften bezeichnete Handlung auf die Entscheidung Einfluß
gehabt hat.
(2) 1Andernfalls ordnet das Gericht die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung an.
§ 371 [Freisprechung ohne Hauptverhandlung]
(1) 1Ist der Verurteilte bereits verstorben, so hat ohne Erneuerung
der Hauptverhandlung das Gericht nach Aufnahme des etwa noch erforderlichen
Beweises entweder auf Freisprechung zu erkennen oder den Antrag auf Wiederaufnahme
abzulehnen.
(2) 1Auch in anderen Fällen kann das Gericht, bei öffentlichen Klagen jedoch nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft, den Verurteilten sofort freisprechen, wenn dazu genügende Beweise bereits vorliegen.
(3) 1Mit der Freisprechung ist die Aufhebung des früheren Urteils zu verbinden. 2War lediglich auf eine Maßregel der Besserung und Sicherung erkannt, so tritt an die Stelle der Freisprechung die Aufhebung des früheren Urteils.
(4) 1Die Aufhebung ist auf Verlangen des Antragstellers durch den Bundesanzeiger bekanntzumachen und kann nach dem Ermessen des Gerichts auch durch andere Blätter veröffentlicht werden.
§ 372 [Sofortige Beschwerde]
Alle Entscheidungen, die aus Anlaß eines Antrages auf Wiederaufnahme
des Verfahrens von dem Gericht im ersten Rechtszug erlassen werden, können
mit sofortiger Beschwerde angefochten werden. 2Der Beschluß, durch
den das Gericht die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der
Hauptverhandlung anordnet, kann von der Staatsanwaltschaft nicht angefochten
werden.
§ 373 [Urteil nach erneuter Hauptverhandlung; Verbot der
reformatio in peius]
(1) 1In der erneuten Hauptverhandlung ist entweder das frühere
Urteil aufrechtzuerhalten oder unter seiner Aufhebung anderweitig in der
Sache zu erkennen.
(2) 1Das frühere Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Verurteilten geändert werden, wenn lediglich der Verurteilte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt hat. 2Diese Vorschrift steht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht entgegen.
§ 373a [Wiederaufnahme bei Strafbefehl]
(1) 1Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftigen Strafbefehl
abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten des Verurteilten ist auch zulässig,
wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder
in Verbindung mit den früheren Beweisen geeignet sind, die Verurteilung
wegen eines Verbrechens zu begründen.
(2) 1Im übrigen gelten für die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftigen Strafbefehl abgeschlossenen Verfahrens die §§ 359 bis 373 entsprechend.